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Der Gault&Millau 2014 – Koch des Jahres ist Daniel Achilles in Berlin

Der neue Gault&Millau lobt das Weltniveau der deutschen Spitzenküche und beklagt deren mangelnde öffentliche Unterstützung / „Restaurateur des Jahres“: Tim Raue, weil er in drei Restaurants drei verschiedene Küchen bietet / Weitere Aufsteiger: Bobby Bräuer in München, Volker Drkosch in Düsseldorf und Hendrik Otto in Berlin

GM 2014 Cover_END.indd„Die besten deutschen Köche kochen heute auf Augenhöhe mit den Stars der globalen Spitzengastronomie. Die Restaurantszene präsentiert sich weltoffen, vielfältig, kreativ und auf dem neuesten Stand“, lobt die französische Gourmetbibel Gault&Millau in ihrer jetzt erscheinenden Deutschlandausgabe 2014 und bedauert, dass „diese erfolgreiche Entwicklung an einem Aufmerksamkeitsdefizit leide. Spanien, Skandinavien und neuerdings auch lateinamerikanische Staaten wie Peru oder Brasilien machen vor, wie man der eigenen Restaurantszene durch gezielte Förderung mit öffentlichen Mitteln zu einem ganz neuen Image verhelfen kann – das nicht zuletzt auch den Tourismus fördert. Deutsche Politiker aber sehen nach wie vor ein Wiener Schnitzel in ihrem Stammlokal als den Höhepunkt lukullischer Freuden und tun nichts dafür, dass die Kulinarik den Stellenwert erhält, den sie in Ländern wie Frankreich und Italien schon immer hat.“

Über die reine Restaurantkritik hinaus beschäftigen sich die Tester auch mit allgemeinen gastronomischen Entwicklungen in Deutschland. So fragen sie: „Geht die ursprüngliche Idee von Gastlichkeit verloren?“ Eine neue Generation von Köchen sieht sich nicht mehr im Dienst des Gastes, sondern erwartet Bewunderung für den kreativen Genius und vor allem Fügsamkeit. Sie bieten keine Auswahl an Gerichten mehr an, sondern nur noch ein Menü, um sich Arbeit zu ersparen. Was die neuen Schmalspurköche dabei nicht in ihr Kalkül einbeziehen: Die Gäste, denen der Genuss wichtiger ist als der Hype um den Koch, bleiben weg.

Ferner beklagen die Kritiker des Gault&Millau: „Es gibt kaum noch Produkte, die nicht erbarmungslos in Plastik gepackt, vakuum verschweißt und ins Wasserbad gesenkt werden. Man verspricht eine sanfte Garung, bei der natürliche Aromen ebenso erhalten bleiben wie Nährstoffe und Vitamine. Im Idealfall mag das stimmen. Doch der ist bei diesem Sous vide- oder Niedertemperaturverfahren leider die Ausnahme. Von Garmisch bis Sylt werden Gäste vielmehr traktiert mit labbrig gegartem Fisch und gleichförmigem, saft- und kraftlosem Fleisch.“
Außerdem gehen sie den Klagen nach, dass der Kellnerberuf für junge Leute nicht mehr attraktiv zu sein scheint, und werben: „Er ist, bei Lichte besehen, alles andere als ein schlechter Job. Wer gut ist, arbeitet in attraktivem Ambiente, begegnet täglich neuen Menschen, hat Aufstiegschancen in großen Hotels und die Chance, weltweit zu arbeiten. Was also läuft falsch? Liegt es nur an den Arbeitszeiten oder auch daran, dass die Köche die Kellner zu reinen Tellerschleppern degradieren?“

Der „Koch des Jahres“ schlägt geschmackliche Funken aus einfachen Produkten Als „Koch des Jahres“ kürt der Guide den 37-jährigen Daniel Achilles vom Berliner Restaurant „Reinstoff“ und proklamiert: „Wie er aus vermeintlich einfachen Produkten große Küche macht, das empfinden wir als im höchsten Maße zeitgemäß. Denn ein teuer eingekaufter Steinbutt schmeckt per se gut, doch weil ein Wels oder ein Petermännchen eher dem Budget eines jungen, selbstständigen Kochs entsprechen, wird hier der Mehrwert durch eigene Denkarbeit und hohen Aufwand in der Küche geleistet.“Sie „bietet bei aller Präzision und Produktbesessenheit auch sinnlich-süffigen Genuss und Witz“ und „entwickelt sich gegenwärtig von allen Berliner Küchen am schnellsten voran. Um geschmackliche Funken in einem durch und durch eigenständigen Stil zu schlagen, genügen Achilles marinierter Strömling mit Äpfeln, Blüten, Zwiebel und Mini-‚Smörrebröd‘, ein herrlich intensives Ochsenschwanz-Curry mit Linsen und Mango, das indische Einflüsse auf höchstem Niveau interpretiert, oder gerösteter und gehobelter Kohlrabi, ein sanft-sahniger Sud mit Nudelblättern und ein Hauch Seezungen-Bottarga.“

Für solche Gerichte erhält der gebürtige Leipziger, dessen Mutter Köchin war und der sich die höheren Weihen bei Kochstars wie dem deutschen Molekular-Pionier Juan Amador und dem Zeitgeistrepräsentanten Christian Bau holte, 18 von 20 möglichen Punkten. Sie stehen in dem Guide, der nach dem französischen Schulnotensystem urteilt, für „höchste Kreativität und bestmögliche Zubereitung”.

Wie der „Workaholic“ Achilles, der in seiner Freizeit gern elektronische Musik hört, steigern sich auch Volker Drkosch vom „Victorian“ in Düsseldorf und Hendrik Otto vom „Lorenz Adlon Esszimmer“ in Berlin auf 18 Punkte. Drkosch serviert „unter Titeln wie ‚5716 Kilometer bis nach Timbuktu‘ oder ‚Vamos a la Playa 2.0‘ kühne Kombinationen der genüsslichen Mondäne“, Otto „brilliert durch extremen technischen Schwierigkeitsgrad und klassische Luxusprodukte. Was da schlicht ‚Gänseleber/Briochecreme‘ heißt, ist ein komplizierter, geschichteter Aufbau aus zahlreichen Elementen, die geschmacklich hochpräzise ineinandergreifen: die Gänseleber auf drei Arten, dazwischen Polenta, Aromen von Orangenschale, Kaffee, Zwetschgen, Trüffel, Brioche, ein wenig weiße Geleespaghetti“. Auf Anhieb bekam die 18 Punkte Bobby Bräuer im letzten März eröffneten Münchner „Ess.Zimmer“ für „seine souveräne Beschränkung auf wenige Produkte in stets überzeugenden Aromenkombinationen. Optisch wie geschmacklich hinreißend war die Langustine in spannungsreicher Symbiose mit Spanferkel, dazu Gemüse-Papaya-Salat und Salzzitrone“.

17 Punkte erreichten erstmals neun Köche, unter ihnen Jacqueline Amirfallah vom „Gauß“ in Göttingen, die damit neben Douce Steiner vom „Hirschen“ in Sulzburg (Südbaden) die höchstbewertete Köchin in Deutschland ist. Für ihre „durch fein austarierte Aromatik und orientalische Töne aus der Heimat ihres iranischen Vaters begeisternde Küche“ wird die studierte Soziologin „Aufsteiger des Jahres“. Dieselbe Note schaffte auf Anhieb auch Tohru Nakamura, seit April Küchenchef von „Geisels Werneckhof“ in München und die „Entdeckung des Jahres“. Der in München aufgewachsene und bei besten Köchen Europas und Tokios geschulte Deutschjapaner brilliert mit „einer einzigartigen Mischung aus uralter japanischer Küchentradition und zeitgemäßer europäischer Avantgarde“. Die anderen sieben: Sören Anders vom „Anders Superior“ in Karlsruhe, Benjamin Biedlingmaier vom „Caroussel“ in Dresden, André Münch vom „Gutshaus Stolpe“ in Stolpe bei Greifswald, Yoshizumi Nagaya vom „Nagaya“ in Düsseldorf, Hubert Obendorfer vom „Eisvogel“ in Neunburg vorm Wald (Oberpfalz), Paul Stradner von „Brenners Park-Restaurant“ in Baden-Baden und Peter Wirbel vom „Le Noir“ in Saarbrücken.

An der Spitze der kulinarischen Hitparade des Gault&Millau stehen mit 19,5 Punkten:

  • Harald Wohlfahrt in der „Schwarzwaldstube“ in Baiersbronn, „der das Repertoire der Lebensmittel mit all ihren Aromen und Konsistenzen einzigartig in Deutschland immer wieder neu und zeitgemäß zu interpretieren versteht, ohne je der Verführung modischer Äußerlichkeiten zu erliegen“,
  • Joachim Wissler vom „Vendôme“ in Bergisch Gladbach: „Allzeit neugierig und auf der Suche nach Herausforderungen, gilt er hierzulande als Vordenker seiner Zunft und prägt Trends, an denen sich jüngere Köche orientieren“),
  • Klaus Erfort vom „GästeHaus“ in Saarbrücken „hat verstanden, dass große Küche unkompliziert daherkommen muss, wenn sie auch für die jüngere Generation noch Zukunft haben soll. Im Zeitalter verkünstelter Tellergerichte ist man nur noch selten so nah am Wesen einer Speise“,
  • Helmut Thieltges vom „Waldhotel Sonnora“ in Dreis bei Wittlich in der Südeifel, der „nichts dekonstruiert und manipuliert, nichts verfremdet und verfälscht und eine Opulenz bietet, als fielen die teuersten Zutaten wie Manna vom Himmel“.Diesem Quartett folgen mit je 19 Punkten für außergewöhnliche Gerichte
  • Tim Raue vom Restaurant „Tim Raue“ in Berlin („Als Gipfel unter seinen kulinarischen Achttausendern empfanden wir das makellose Steinbuttfilet mit Dashi und Bonitoflocken, begleitet von einer kleinen Spur aus Ingwer, Erbsen und Melone, saftig umrundet von einem Püree aus Erbsen und Zwiebeln mit Melonensaft“),
  • Christian Bau vom „Schloss Berg“ im saarländischen Perl-Nennig („Die Gelbflossenmakrele, halbkreisförmig als farbenfrohes Tellergemälde arrangiert, deckt mit den vielen begleitenden Elementen alle Konsistenzen von weich über bissfest bis knusprig und alle Aromen von dezent bis kräftig, von säuerlich bis süßlich, von mild bis pikant ab“),
  • Hans Stefan Steinheuer von „Steinheuers Restaurant zur alten Post“ in Bad Neuenahr („kreativer Koch mit untrüglichem Gespür für spannende Aromen und deutlichen Geschmack, der ihm wichtiger ist als waghalsige Experimente und modernistische Stil und Spielarten“),
  • Thomas Bühner vom „La Vie“ in Osnabrück („kühl kalkulierte und ansprechend arrangierte Tellerlandschaften mit bis zu zwei Dutzend Komponenten pro Gang“),
  • Christian Jürgens von der „Überfahrt“ in Rottach-Egern am Tegernsee („Im spielerischkreativen Geist bringt er vom geschmacklichen Spaziergang durch die heimische Natur ‚Seerosen‘, ‚Gemüsegarten‘ oder ‚verschneiten Tegernsee‘ mit“),
  • Claus-Peter Lumpp vom Restaurant „Bareiss“ in Baiersbronn („gebratener Loup de mer, dessen Haut kross und knusprig wie Blätterteig ist, mit einem ganzen Strauß an Zitrusnuancen“),
  • Nils Henkel vom „Schloss Lerbach“ in Bergisch Gladbach („In seinem Konzept der ‚Pure nature Cuisine‘ steht auf jedem Teller ein Produkt im Vordergrund, dem gleichsam aromatisch zugearbeitet wird“),
  • Heinz Winkler von der „Residenz Heinz Winkler“ im oberbayerischen Aschau („bewahrt den Reiz der großen Klassik mit all ihrer Eleganz auf der Höhe der Zeit“) sowie
  • Sven Elverfeld vom Restaurant „Aqua“ in Wolfsburg („Beim Kabeljau unter leicht geschmolzener Kalbskopfsülze mit brauner Butter und Perlzwiebeln beeindruckt Blumenkohl in Texturen: kleine Röschen, roh marinierte dünne Scheiben, mit Nussbutter angereichertes Püree und ‚Asche‘ aus getrockneten Blumenkohlblättern, die über den Fisch gestreut ist“.

Von den 36 deutschen Topköchen, die 18 bis 19,5 Punkte bekommen, stehen sieben in Bayern, fünf in Rheinland-Pfalz und je vier in Baden-Württemberg, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein am Herd.
110 neue Lokale, darunter ein Burger-Grill und ein Dutzend Wirtshäuser Außer dem Koch, dem Aufsteiger und der Entdeckung des Jahres zeichnet der Guide noch weitere kulinarische und gastronomische Leistungen aus:

  • „Oberkellner des Jahres“: Jérôme Pourchère vom „GästeHaus“ in Saarbrücken,
  • „Sommelier des Jahres“: Markus Berlinghof vom „Jacobs“ in Hamburg,
  • „Restaurateur des Jahres“: Tim Raue, der in Berlin drei Restaurants mit unterschiedlichen kulinarischen Konzepten führt; sein asiatisch inspiriertes „Tim Raue“, das thailändische „Sra Bua“ im Hotel „Adlon“ und das neo-bürgerliche „La Soupe Populaire“ im Stadtteil Prenzlauer Berg,
  • „Kochschule des Jahres“: Franz Feckl vom „Landhaus Feckl“ in Ehningen bei Stuttgart,
  • „Hotelier des Jahres“: Dietmar Müller-Elmau vom „Schloss Elmau“ in Elmau (Oberbayern).

Insgesamt bewertet der alljährlich wegen seiner strengen Urteile und deren zuweilen sarkastischer Begründung von den Köchen gefürchtete, von den Feinschmeckern mit Spannung erwartete Gault&Millau in seiner neuen Ausgabe 1.001 Restaurants. Die 27 Tester, die stets anonym auftreten und dieses Jahr 266.000 Euro Spesen machten, verleihen 858 Luxuslokalen und Landgasthöfen, Bistros und Hotelrestaurants die begehrten Kochmützen. Dazu müssen die Köche mindestens 13 von 20 Punkten erreichen, was einem Michelin-Stern nahe kommt. Da auch die Welt der Gourmandise in ständigem Wandel ist und die Plätze im Feinschmeckerparadies immer wieder neu gerührt und erkocht werden, serviert der Gault&Millau im Vergleich zur Vorjahrsausgabe 131 langweilig gewordene Restaurants ab und nimmt 110 inspirierte Küchen neu auf, darunter ein Burger-Grill in Köln und ein Dutzend Wirtshäuser. 121 Köche werden höher, 104 niedriger als im letzten Guide bewertet. Ferner beschreibt und
klassifiziert der Gault&Millau 250 Hotels.

Ab sofort erhalten Genießer mit dem Erwerb der Printausgabe des Gault&Millau Deutschland 2014 auch Zugang zu den exklusiven Web&App-Services. Auf www.MonGourmet.de ist der vollständige Inhalt der gedruckten Ausgabe des Gault&Millau Deutschland 2014 abrufbar. Darüber hinaus informiert die Gault&Millau-Redaktion auf www.MonGourmet.de und im MonGourmet-Newsletter regelmäßig über Neuigkeiten, Änderungen und interessante Entwicklungen aus der Spitzengastronomie. Fester Bestandteil der Web&App-Services ist auch die GAULT MILLAU Gourmet Guide Deutschland App, erhältlich im App Store und im Google Play Store. Sowohl die Inhalte auf www.MonGourmet.de als auch in der App werden regelmäßig aktualisiert. Der Gault&Millau Deutschland 2014 steht auch als eBook bei Amazon und im iBookstore zur Verfügung.
Gault&Millau Deutschland 2014 – Der Reiseführer für Genießer
31. Jahrgang, 736 Seiten, 29,99 Euro
ISBN: 978-3-86244-487-8, Christian Verlag München

Gault Millau 2012 und die scharf geschliffenen Randbemerkungen

19,5 Punkte für Sven Elverfeld aus Wolfsburg im neuen Gault Millau / Douce Steiner aus Südbaden beste deutsche Köchin / Tim Raue bester Koch in Berlin / Heftige Kritik am Service

Als „immer lästigere Störung“ empfindet die französische Gourmetbibel Gault Millau in ihrer jetzt erscheinenden Deutschlandausgabe 2012 die „Überpräsenz des Service in der deutschen Spitzengastronomie. Was es für Liebende, Geschäftsleute oder eine gesellige Runde bedeutet, wenn der Service heute doppelt so oft an den Tisch kommt wie vor 10 Jahren (damals 20, nun etwa 40 Mal pro Stunde an einen Vierertisch), interessiert diese Störenfriede nicht im mindesten, die ständig etwas ansagen, fragen oder nachschenken müssen“. Auch allzu viele Köche trügen zu diesem „Gästestören bei. Wer seine Zugehörigkeit zur Avantgarde beweisen will, bietet ja kein Stück Fleisch mehr, sondern spielt das in drei Variationen mit sechs verschiedenen Beilagenelementen in Texturen durch. Und jeder Geleewürfel, Saucentupfer und Püreestrich auf dem Teller muss vom Service ausgiebig ‚erklärt’ werden, besonders gern unter Zuhilfenahme des Uhrzeigersinns.

Kurzum, man fühlt sich mittlerweile in den meisten Toprestaurants wie in einem Überwachungsstaat. Wer sich mit Freunden unterhalten oder mit Partnern etwas besprechen will, bedenke bei der Wahl des Lokals, ob er dort noch ausreden darf und sein Gedankenfluss nicht ständig unterbrochen wird. Wir sind sicher, der Service wird es über kurz oder lang hinkriegen, dass Menschen, die sich etwas zu sagen haben, dazu Restaurants meiden.“

Rucolasauce zum Rahmeis mit Himbeeren beim „Koch des Jahres“

Zum „Koch des Jahres“ wurde der „Pionier der deutschen Gewürz- und derzeit so modischen Gemüseküche“ gekürt: der 47-jährige Andree Köthe vom Nürnberger „Essigbrätlein“. Er kochte „schon vor 10 Jahren sein Gemüse aus der Neben- in die Hauptrolle und bot Fleisch wie Fisch als Beilage dar. Und bewies dabei eine unglaublich sichere Hand im Umgang mit der Würze, die hier so vielfältig, so ungewohnt, so fordernd und auch so provozierend wirkt wie in kaum einem anderen deutschen Restaurant“.

Seine „intellektuelle, aber unprätentiöse Küche“ bietet nur ein maximal siebengängiges Menü, „das man mit ‚Nachdenken über Geschmack’ oder ‚Schmecken mit Verstand’ überschreiben könnte. Hauchdünne, kurz al dente blanchierte Scheibchen und würzig-knackige Blattstiele vom Radieschen gibt es als zungestreichelnden Balsam zur Seeforelle, Blumenkohl als feine Creme und in hauchdünnen, rohen Scheiben zu glasig angegartem Wildsaibling.

Auch ein Augenschmaus sind die in einem Dreieck aus grober Meerrettichcreme stehenden Scheiben von säuerlich marinierter Roter Bete, denen Schnittlauchröllchen grüne und Kirschblüten-Crunchy duftige Noten verleihen. Reiner Schnittlauchsaft führt die Kombination von Aprikose und Reh zur Geschmacksexplosion auf der Zunge, feinherbe Rucolasauce kontrastiert Rahmeis mit Himbeeren.“

Für diese „in die in Sphären absoluter puristischer Aromatik vorstoßende Küche“ erhielt der völlig uneitle Nordhesse, der keine großen Lehrmeister und keine Hobbys hat, weder luxuriöse Produkte noch modische Effekte verwendet, 18 von 20 möglichen Punkten.

Eine höhere Bewertung als Köthe haben in dem nach dem französischen Schulnotensystem urteilenden Guide nur 12 deutsche Köche. In die Phalanx der mit 19,5 Punkten höchstbewerteten Küchenchefs stieg Sven Elverfeld vom Restaurant „Aqua“ in Wolfsburg auf. Aus der Begründung: „Er verzichtet auf exotische Produkte und hyperkreative Zubereitungen. Das scheinbar Einfache wird bei ihm zu einem Reigen des Wohlgeschmacks und der vollendeten Harmonie für alle Geschmackssinne. Er stellt konsequent Geschmack über Effekt.“

Ihre 19,5 Punkte aus dem Vorjahr bekamen wieder Harald Wohlfahrt von der „Schwarzwaldstube“ in Baiersbronn-Tonbach für „nie nachlassende kreative Energie, unbestechlichen Gaumen und absoluten Willen zur Perfektion“, Helmut Thieltges vom „Waldhotel Sonnora“ in Dreis bei Wittlich in der Südeifel wegen „seiner Küche von der Leichtigkeit, aber zugleich auch Tiefe einer Mozartmelodie“, Joachim Wissler vom „Vendôme“ in Bergisch Gladbach als „Deutschlands weltoffenster Koch mit dem Ehrgeiz und der Ernsthaftigkeit eines Hohenpriesters der internationalen Avantgarde“ und Klaus Erfort vom „GästeHaus“ in Saarbrücken, „der die Kulinarik nicht neu erfinden, sondern ihr bloß in aller Bescheidenheit das absolute Optimum abgewinnen will“.

Diesem Quintett folgen mit je 19 Punkten Thomas Bühner vom „La Vie“ in Osnabrück für seine „reine Harmonielehre auf jedem Teller“, Christian Jürgens von der „Überfahrt“ in Rottach-Egern am Tegernsee für das „Bestreben, die Seele eines Produkts auf das Bestmögliche darzustellen“, Christian Bau vom „Schloss Berg“ im saarländischen Perl-Nennig, der „leider ohne lockere Beschwingtheit der Küche den Weg in die Zukunft weisen will“, Hans Stefan Steinheuer von „Steinheuers Restaurant zur alten Post“ in Bad Neuenahr, der „durch den kühl kalkulierten Einsatz der würzenden Zutaten prononcierte Herzhaftigkeit erreicht“, Heinz Winkler von der „Residenz Heinz Winkler“ im oberbayerischen Aschau für „eine Küche von erhabener Leichtigkeit bei gleichzeitig tiefgründigen Aromen“, Nils Henkel vom „Schloss Lerbach“ in Bergisch Gladbach, der „alle technischen Möglichkeiten zeitgenössischer Kulinarik nutzt, um ein sehr gutes Produkt in all seinen Facetten zu zeigen“ sowie Tim Raue vom gleichnamigen Restaurant in Berlin, der diese Note erstmals erreichte, weil er „aus seinen umfangreichen internationalen Erfahrungen eine persönliche Essenz der asiatischen Küche destillierte“. Er kreierte auch das „Menü des Jahres“, das im „Prinzip höchster Leichtigkeit“ u.a. thailändische Tageslilie, neuseeländische „8 head“ Abalone und Taube in Sichuangewürzen bietet.

Auf 18 Punkte steigerten sich der „spielerisch-heiter und technisch ausgefeilt kochende“ Hans Horberth vom „La Vision“ in Köln und der „sensorische Ekstase und emotionale Freude vereinende“ Christoph Rainer von der „Villa Rothschild“ in Königstein/Taunus.

Insgesamt erkochten 30 Köche 18 Punkte, die für „höchste Kreativität und bestmögliche Zubereitung” stehen; 19,5 und 19 Punkte bedeuten Weltklasse. Von den 42 deutschen Topköchen, die 18 bis 19,5 Punkte bekamen, stehen 11 in NRW, 6 in Baden-Württemberg und je 5 in Bayern und Rheinland- Pfalz am Herd.

17 Punkte erreichten erstmals 16 Köche, unter ihnen Douce Steiner vom „Hirschen“ in Sulzburg (Südbaden), die damit höchstbewertete Köchin in Deutschland ist. Für ihre „sehr mundwässernd komponierten Gerichten der vielseitigen Speisenkarte, ihre besondere Liebe zu Gemüse und Kräutern sowie ihr Händchen für leichte Saucen“ wurde sie „Aufsteiger des Jahres“.

Dieselbe Note schafften auf Anhieb die Küchenchefs zweier neu eröffneter Restaurants: Franz Berlin, 28, von „Berlin’s Krone“ in Bad Teinach (Nordschwarzwald) und Dirk Hoberg, 30, vom „Ophelia“ in Konstanz.

Die „feenhafte, aber selbstbewusste Küche“ der 26-jährigen Kimberley Unser des ebenfalls neueröffneten „Seven Swans“ in Frankfurt stellen die Tester als „Entdeckung des Jahres“ vor, weil sie „essbare Landschaften auf den Teller zaubert und ihre scheinbar unbekümmerte Gute-Laune-Küche mit Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Bio-Qualität bietet“.

869 Restaurants ausgezeichnet, darunter 102 in den neuen Bundesländern

Insgesamt bewertet der alljährlich wegen seiner strengen Urteile und deren zuweilen sarkastischer Begründung von den Köchen gefürchtete, von den Feinschmeckern mit Spannung erwartete Gault Millau in seiner neuen Ausgabe 1060 Restaurants. Die 25 Tester, die stets anonym auftreten und dieses Jahr 282.000 Euro Spesen machten, verliehen 869 Luxuslokalen und Landgasthöfen, Bistros und Hotelrestaurants die begehrten Kochmützen. Dazu mussten die Köche mindestens 13 von 20 Punkten erreichen, was einem Michelin-Stern nahe kommt.

Auch 102 Küchenchefs in den neuen Bundesländern erkochten diese Auszeichnung. An ihrer Spitze stehen mit 18 Punkten Oliver Heilmeyer vom „17fuffzig“ in Burg (Spreewald) und Dirk Schröer vom „Caroussel“ in Dresden. Ihnen folgen mit 17 Punkten der Italiener Marcello Fabbri vom Restaurant „Anna Amalia“ in Weimar, Benedikt Faust vom „Berliner Salson“ in Göhren auf Rügen, Tillmann Hahn vom „Butt“ in Rostock-Warnemünde, Stefan Hermann vom „Bean & Beluga“ in Dresden, Ronny Siewert vom „Friedrich Franz“ in Bad Doberan-Heiligendamm sowie die beiden Leipziger Detlef Schlegel vom „Stadtpfeifer“ und Peter Maria Schnurr vom „Falco“.

Da auch die Welt der Gourmandise im ständigen Wandel ist und die Plätze im Feinschmeckerparadies immer wieder neu gerührt und erkocht werden, servierte der Gault Millau im Vergleich zur Vorjahrsausgabe 119 langweilig gewordene Restaurants ab und nahm 119 inspirierte Küchen neu oder wieder auf. 118 Köche wurden höher, 116 niedriger als im letzten Guide bewertet. Außer dem Koch und dem Aufsteiger sowie der Entdeckung und dem Menü des Jahres zeichnete der Guide noch weitere kulinarische und gastronomische Leistungen aus:

• „Oberkellner des Jahres“: Enrico Spannenkrebs vom „Atelier“ in München,

• „Sommelier des Jahres“: Magdalena Brandstätter vom „Waldhotel Sonnora“ in Dreis bei Wittlich,

• „Restaurateur des Jahres“: Konrad Winzer vom „Drei König“ in Lörrach, ein Bildhauer, der aus Freude an unverkünstelter Küche ein Edelgasthaus finanzierte.

• „Pâtissier des Jahres“: Oliver Näve vom „Restaurant Français“ in Frankfurt,

• „Kochschule des Jahres“: Stefan Hermann vom „Bean & Beluga“ in Dresden,

• „Barkeeper des Jahres“: Franz Höckner vom Hotel „Adlon“ in Berlin.

Ferner beschreibt und klassifiziert der im Münchner Christian Verlag erscheinende Reiseführer für Genießer (914Seiten, 29.95 €) 370 Hotels. Im „Weinromantikhotel Richtershof“ in Mülheim an der Mosel kürte er den Rauchsalon („Londoner Herrenclub meets Mülheimer Fachwerkidyll“) zur „Cigar Lounge des Jahres“. Als zusätzliches Schmankerl bietet der Guide auf 50 Seiten Restaurants und Hotels in Südtirol.

Für unterwegs gibt es den Gault Millau auch als App fürs iPhone (7,99 €). Die App enthält den gesamten Inhalt der Buchausgabe und bietet Zusatzfunktionen zur Suche, Anfahrt und direkten Anwahl interessanter Restaurants.

Gault Millau Deutschland 2012 – Der Reiseführer für Genießer
29. Jahrgang, 914 Seiten, Euro 29,95
ISBN 978-3-86244-076-4, Christian Verlag München